Origami – Träume aus Händen
von Florian Aicher
Raum
Medium, in dem sich unser Leben vollzieht, wir uns entfalten
Ist uns so unentbehrlich wie die Luft zum Atmen
Der Raum schafft uns, wir schaffen Raum
Ist unser Lebenselexier
Nicht:
Endlose Ausdehnung, gemessen, abgezählt nach L/B/H
Mathematisch-physikalische Abstraktion
Sondern:
Gelebter Raum, vibrierendes Volumen,
Gebilde mit Eigenschaften, Grenzen, Kanten,
Festigkeit, zu Greifen, bezogen auf uns, angewiesen
auf uns, leibbezogen, eine Tat – Sache
was anderes ist denn der leib
als diese Sehnsucht nach raum
Martina Hügeli
Was ist Raum?
Blatt weißes Papier, 2D, verschwindet auf der weißen Tischplatte
Nehmen es in die Hand, legen Kante auf Kante, ziehen Falz nach:
Wird stabil, unterscheidet sich, steht, hat innen/außen,
davor/dahinter – Raum geworden dank Operation der Hand.
Experiment dank Eberhard Fiebig,
Metallbildhauer, dem Falten Grundprinzip
seiner Kunst
Falte
Falte als universales Prinzip
Universales Prinzip der Raumbildung, Lebensentfaltung, Weltschöpfung
Fötus: Ausfaltung der Eizelle, Hirn: eine einzige Falte
Frühling: Pflanzen entfalten Blätter, Landschaft: Erde gefaltet
Bayern prägendes Barock: vom Faltenwurf der Skulptur bis
Raum als Welten-Theater: Stabilisiert als Faltwerk
Gilles Deleuze, zeitgenöss. Franz. Philosoph
Im Anschluß an Leibnitz: Die Falte
Es ist Jahre her
Dass ich mich mit dem Werk befasst habe
In einer Dachkammer – nur durch großes Dachfenster belichtet
Sparsam eingerichtet – doch Blumenstrauß gehört dazu
Vom Morgeneinkauf mitgebracht: frisch geschnittener Mohn, meist Knospe
Ins Lesen vertieft, aufgeschreckt von plötzlichem Geräusch, kaum vernehmbar aber deutlich, leiser als Mäuserascheln,
Suche nach Quelle, fündig:
Grüne Knospe entfaltet sich zu voller Blüte
Leuchtendes Rot im Zenitlicht
Das hat eingeleuchtet
Falte so universell wie: Ein Werk der Hand
Hand
Ein merkwürdiges Gebilde:
Für Aristoteles: Das Werkzeug aller Werkzeuge
Für Imm. Kant: Das äußere Gehirn des Menschen
Für Karl Jaspers: Ein Werkzeug des Denkens
Instrument, um willentlich gesteuert in die Welt hinausgreifen
Instrument, das uns Eindrücke der Welt empfangen lässt
Im Greifen – bemächtigt sich unser Geist der Welt
Im Tasten – teilt sich die Natur uns mit
Beides: E r f a s s e n
Organ leib-geistiger Einheit
„Ein neuronales Netz, das Auge, Gehirn und Hand verbindet, sorgt für die Integration des Tastens,Greifens und Sehens.
Wir warten mit dem Denken nicht, bis alle Informationen beisammen sind, sondern antizipieren. ...Das signalisiert Aufmerksamkeit, Engagement und Risikobereitschaft
Im Blick nach vorn... das genaue Gegenteil des vorsichtigen Buchhalters ... Die Hand weiß genau das, was sie tut. “ Richart Sennett, Das Handwerk
Der Neurologe Frank Wilson zitiert den Dichter Rob.son Davis
‚Die Hand spricht mit dem Gehirn so sicher, wie das Gehirn mit der Hand spricht’. Und fährt fort: Er erinnert uns daran, dass es höchste Zeit ist, unsere äußerst einseitigen Theorien über Gehirn, Geist, Sprache und Handeln zu korrigieren.
Frank. Wilson: Die Hand – Geniestreich der Evolution
Einheit von Geist und Materie – kein Mysterium, sondern: Falten.
Traum
Im Fluss – Nachtwandlerisch – Tagträumend - Wachtraum
Wie Ernst ist das zu nehmen? Was ist das genau?
Abschied von der eindimensionalen Wahrnehmung,
von Sender-Empfänger Modell
von der willensgesteuerten Information
zur unwillentlichen Einsicht
Zentrales Thema der ‚Suche nach der verlorenen Zeit’ von
Marcel Proust:
Das erinnerte Ich auf seinem Weg vorwärts und
das sich erinnernde Ich rückwärts, nähern sich im Verlauf des
Romans, bis sie, im Augenblick der Offenbarung, identisch werden im Wechselspiel dieser beiden Ichs. Erich Köhler
Zentral: die Vermittlung durch die Sinne, Geruch, Geschmack – diese lösen den Geistesblitz aus, setze Dem Geist ein Licht auf. In den Tee getunktes Madelaine
Die Gegend mit ihren Fliederbüschen, den Weißdornhecken, den Kornblumen und dem Mohn, den Apfelbäumen, die Gegend mit dem Fluss, mit Kaulquappen, Seerosen und dem Hahnenfuß, haben für alle Zeiten das Antlitz des Landes geprägt, in dem ich leben, Kahn fahren, Ruinen ansehen und mitten im Getreidefeld eine wuchtige ländliche Kirche antreffen möchte, die den goldenen Schimmer von reifen Garben hat; und die Kornblumen, der Weißdorn, die Apfelbäume, die ich, wenn ich reise, auf den Feldern sehe, knüpfen, weil sie auf gleicher Höhe oder Tiefe meiner Vergangenheit gelegen sind, sofort mit meinem Herzen eine Verbindung an. (181)Marcel Proust, Combray,FFM 1962
Erinnern, Sinneseindrücke, Verknüpfen der Eindrücke, Einsichten – ein Tagtraum und:
hellste Wachsamkeit – Künstlerische Inspiration – Voraussetzung für Erkenntnis immer persönlich |